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13. Geschichte der AIa II Flavia milliaria


Inschriften, Militärdiplome, Ziegelstempel und Grabungsbefunde gestatten, die Geschichte der Ala II Flavia milliaria annähernd zu rekonstruieren. Die Einheit wurde, wie der Name sagt, in flavischer Zeit aus den in den Kämpfen des Bataverkrieges 69/70 n. Chr. übriggebliebenen Reitereinheiten am Rhein neu aufgestellt. Eine der damals untergegangenen Reitereinheiten mag die Bonner Ala Longiniana gewesen sein, von deren Reitern wir das Foto eines Grabsteines zeigen (8,4). Die Ala II Flavia nahm sehr wahrscheinlich am Feldzug des Cn. Pinarius Cornelius Clemens im Jahre 73/74 n. Chr. in das obere Neckargebiet teil sowie am Chattenkrieg Kaiser Domitians im Jahre 83 n. Chr. im Taunus-Wetteraugebiet.



Verleihung der Ehrenbeinamen ‚pia fidelis Domitiana’


Als Lucius Antonius Saturninus, Kommandeur der beiden Mainzer Legionen (Legio XIV gemina und Legio XXl rapax), im Jahre 88/89 n. Chr. rebelliert, votiert die Ala II Flavia für Kaiser Domitian. Der Statthalter von Rätien, Lucius Norbanus und der Kommandeur der unteren Heeresgruppe (exercitus inferior) Lucius Appius Norbanus Maximus halten Kaiser Domitian die Treue: Die Legio VI victrix (von Neuss/Novaesium), die Legio X gemina (von Nijmegen/Noviomagus), die Legio XXII Primigenia (von Xanten/Vetera Castra) besiegen die Aufständischen in einer Schlacht am Rhein unterhalb von Mainz/Mogontiacum. Damals verlieh Domitian allen ihm treu gebliebenen Verbänden – also auch der Ala II Flavia - die Ehrenbeinamen ‚pia fidelis Domitiana‘, die getreue, zuverlässige, domitianische.

Die Ala II Flavia pia fidelis Domitiana milliaria wird zum ersten Male in dem rätischen Militärdiplom des Jahres 107 n. Chr. als zum rätischen Heer (exercitus raeticus) gehörend erwähnt (Vitrine 17). Sie liegt damals im Kastell Heidenheim, wo das Grabsteinfragment eines ihrer Reiter gefunden wurde.





Plan: Kastell der Ala II Flavia in Heidenheim


Das 271 x 195 m (52,845 ha) große Kastell liegt mitten in der Stadt Heidenheim, westlich des Bahnhofes zwischen Paulinen-, Karl-, Brenz- und Bahnhofstraße. Wenn auch oberirdisch heute von dem Lager nichts mehr zu sehen ist, so spiegeln doch einige Straßen das Lagerstraßennetz wider. So deckt sich z. B. die Paulinenstraße mit der Nord-Lagerringstraße (via sagularis) und begrenzt das nach NNO orientierte Lager im Norden. Die Ost-Begrenzung der Marienstraße markiert ungefähr die Mittelachse des Lagers. Das Stabsgebäude (principia) liegt im Schnittpunkt Olga-/Marienstraße/ Bahnhofsanlagen. Das zwischen Toten- und Ottilienberg gelegene Alblimeskastell Heidenheim sperrt das Brenztal, den natürlichen S-N-Verbindungsweg von der Donau in das Kochertal und in das Nord-Vorland der Schwäbischen Alb.




Ausgrabungen seit 1896


Forstmeister Prescher vermutete als erster in Heidenheim ein römisches Kastell. Ihm gelang es auch, 1896/97 im Auftrag der Reichslimeskornmission die Lagermauer und die Fundamente des Stabsgebäudes (principia, 57 x 63 m) mit einer Torhalle über der Lagerhauptstraße (via principalis) nachzuweisen.

Das Landesdenkmalamt legte 1961/62 Teile des rückwärtigen Lagertores (porta decumana) frei sowie die Apsis des Fahnenheiligtums (aedes) mit dem darunter befindlichen Keller für die Truppenkasse. Bodo Cichy untersuchte im Auftrag des LDA 1965 in der NW-Ecke des Kastells, im vorderen Lagerteil (praetentura), ein Areal von 1250 m2.

Im Südosten des Lagers grub er die Lagermauer aus und stellte fest: Die Lagermauer ist aus grob zugerichteten Jurasteinen mit stark sandigem Kalkmörtel aufgemauert. Sie ruht auf einem 1,4 m breiten und 0,2 m hohen Fundamentsockel aus Bruchsteinen. Der Fundamentsockel springt nach außen 0,2 m über die Mauerflucht vor. Er schaute in römischer Zeit etwa 0,2 m aus dem Boden. Die Außenwand der Mauer hatte einen mit leuchtend weißer Kalktünche gestrichenen, 8—12 mm starken Kalkmörtelverputz, in den waagrecht und senkrecht eingeritzte Linien den Eindruck einer aus echten Quadern gefügten Mauer erweckten. Die 1,2 m breite Berme fällt schräg zu dem 8 m breiten und 1,8 m tiefen Spitzgraben ab. Hinter der Lagermauer war ein Erdwall (vallum) angeschüttet, daran schließt sich die Lagerringstraße (via saguiaris) an, auf der die Soldaten von ihren Kasernen den ihnen für die Verteidigung zugewiesenen Mauerabschnitt erreichten.





Pläne: Grundriß und Rekonstruktion von 3 Turmenkasernen


In der NW-Ecke des Kastells konnte Cichy drei Kasernen in Fachwerkbauweise nachweisen. Jede Kaserne hat 12 etwa geichgroße Zeltgenossenschaften (contubernia) mit einem 4,5 x 4,3 m großen Schlafraum (papilio) mit Herdstelle, davor einen Raum zur Ablage der Waffen (armis) und davor einen auf die Straße führenden, überdachten Raum zum Abstellen von Last- und Zugtieren (iumentis).

Den Abschluß auf den beiden Schmalseiten der Kasernen bildet ein erweiterter Kopfbau, in dem die Chargen untergebracht sind: decurio (Rittmeister), duplicarius (er erhält doppelten Sold), sesquiplicarius (er erhält einen eineinhalbfachen Sold), signifer turmae (Feldzeichenträger der Schwadron), bucinator (Posaunist), curator (Verwalter), medicus (Veterinär), custos armorum (Waffenmeister). Eine etwa 21 cm starke Wand teilt die Kaserne zwischen dem 6. und 7. Contubernium (Zeltgenossenschaft) in zwei gleiche Hälften. In jeder Hälfte lag ein Reiterzug (turma) mit 42 Reitern, die auf die sechs Contubernien und den Erweiterungsbau zu verteilen sind.

Die beiden nördlichen Turmenkasernen öffnen sich auf die Nord-Lagerringstraße (via sagularis), die heutige Paulinenstraße. Die Kasernen haben auf ihrer Rückseite einen überdachten Gang, der zur Straße der beiden im Süden anschließenden Turmenkasernen gehört. Dadurch entsteht eine Art Innenhof, der an den Schmalseiten von den vorspringenden Kopfbauten begrenzt wird. Die Kopfbauten lassen einen schmalen Durchgang frei, der einer Wache die genaue Kontrolle der Ein- und Ausgehenden ermöglichte (Abb. 77).

Die beiden folgenden Kasernen haben eine gemeinsame Rückwand und mit den gegenüberliegenden, nicht mehr ausgegrabenen Kasernen, eine gemeinsame, beiderseits von überdachten Gängen begleitete Straße, die auf die Ausfallstraße (via praetoria, Marienstraße) und die Lagerringstraße (via sagularis, Karlstraße) führt.



Abb. 77 Grundriß und Rekonstruktion der Turmenkasernen der Ala II Flavia milliaria im Kastell Heidenheim.



Erdkastell


Cichy traf 18 m vor der Ost-Lagermauer auf eine der Lagermauer parallel verlaufende Umwehrung eines älteren Erdkastells, das sich nach Osten erstreckt. Der 2,2 m breite und 1,75 m tiefe Spitzgraben hat eine 0,5 m breite Berme. Dahinter verläuft im Abstand von 1,2 m ein 0,4 m breites und 0,4 m tiefes Palisadengräbchen. Pfostenreihe und Palisadengräbchen sind Überreste einer etwa 1,2 bis 1,3 m breiten Holzerdemauer eines Erdkastells, dessen Breite durch die Brenz gegeben ist. Es dürfte maximal 120-130 m breit und etwa 180 m lang gewesen sein und einer Einheit von 500 Soldaten (cohors quingenaria) Platz geboten haben.

Das Lagerdorf (vicus) erstreckt sich um das Lager herum, vornehmlich zu beiden Seiten der nach Faimingen und Günzburg führenden römischen Straßen.



Abb.78 Grabsteinfragment des Reiters Julius der Ala II Flavia milliaria. – FO: und AO: Heidenheim

Vom Rhein nach Heidenheim


Kastell Heidenheim dürfte nach dem Ausgrabungsbefund von B. Cichy um 90 n. Chr. erbaut worden sein. Das Erdkastell ist älter. Wahrscheinlich ist die Ala II Flavia bald nach der Rebellion von 89 n. Chr. vom oberen Heer (exercitus superior) nach Rätien verlegt worden. Der Grund für diese Truppenverschiebung ist wahrscheinlich die Auflösung des während des Chattenkrieges im Wetterau-Main-Gebiet zusammengezogenen großen Heeresverbandes. Alle für die Besetzung der obergermanischen Limeskastelle nicht benötigten Verbände wurden damals nach Rätien, Pannonien und Britannien abgegeben. Etwa gleichzeitig mit der Ala II Flavia milliaria kamen die Ala I Flavia singularium nach Pförring und die Cohors II Aquitanorum nach Regensburg (Abb. 78).

Früher war man der Meinung, die Ala II Flavia milliaria sei mit der in den obergermanischen Militärdiplomen der Jahre 74 und 82 n. Chr. genannten Ala II Flavia gemina identisch, das heißt die Ala II Flavia gemina sei ebenfalls eine milliaria gewesen. Neuerdings hat aber E. Birley darauf aufmerksam gemacht, daß die Ala II Flavia gemina eine Ala quingenaria (von 500 Reitern) gewesen sei. Es besteht allerdings die Möglichkeit, daß die Ala II Flavia gemina im Zusammenhang mit den Ereignissen des Saturninusaufstandes verdoppelt wurde. Jedenfalls fehlt die Einheit nach 82 n. Chr. in allen obergermanischen Militärdiplomen. Ferner sprechen die Befunde in dem für diese Einheit in Anspruch genommenen Kastell Okarben dafür, daß das Kastell Okarben bald nach 90 n. Chr. nur noch als Versorgungsbasis diente.





Von Heidenheim nach Aalen an den Limes


Um die Mitte des 2.Jh. n. Chr. verläßt die Ala II Flavia milliaria im Rahmen der Truppenverschiebungen am obergermanisch - rätischen Limes Kastell Heidenheim an der Brenz und baut das Kastell Aalen - wie in Heidenheim an der Brenz so auch in Aalen ebenfalls in unmittelbarer Nähe des Flüßchens Aal, mit deren Wasser sie täglich ihre mehr als 1 000 Pferde tränken. Die Ala wird in den rätischen Militärdiplomen der Jahre 125—128, 153, 153—157, 156/157, 162 und 166 n. Chr. erwähnt.

Wenn auch spätere schriftliche Zeugnisse bis jetzt fehlen, so ist doch damit zu rechnen, daß die Einheit bis zur Aufgabe des rätischen Limes um 260 nChr. im Kastell Aalen blieb.





Gliederung der Ala II Flavia milliaria


Der Praefectus alae hat als Kommandant eines selbständigen Heerkörpers eine Kanzlei (officium), die der des Legionskommandeurs (legatus legionis) in allen Stücken entspricht: cornicularius (Sekretär), actarius (Kanzleibeamte), strator (Pferdehalter), stator (Gerichtsoffizial), beneficiarius (vom Dienst Freigestellter), librarius (Schreiber), Stabsreiter: optio, vexillarius, singularis.

Ein Feldzeichenträger (signifer alae) trägt die Regimentsfahne (vexillum). Posaunisten (bucinatores) sorgen für die akustische Befehlsübermittlung. Die von der Reiterei benutzte Posaune (bucina) (CLI. 3,3352; 6,3179) ist auch das Signalinstrument des Heerführers und wahrscheinlich auch des Legionskommandeurs. Auf einem in Mainz/Mogontiacum gefundenen Reitergrabstein ist eine Bucina dargestellt (AuhV 1, Mainz 1858, Heft 11 Taf. 6,2).

Die Ala milliaria hat 24 Reiterzüge (tumae) á 42 Reiter einschließlich der Chargen: decurio (Rittmeister, Zugführer) und seine beiden Stellvertreter: duplicarius und sesquiplicarius; signifer turmae, bucinator, custos armorum, curator, medicus (s. o.). Die Ala milliaria hat als Sollstärke 1104 Pferde (ohne Stab). Dem Rittmeister (decurio) stehen 3 Pferde zu und seinen beiden Stellvertretern jeweils 2 Pferde.



Lit.: W. Barthel, BRGK 6, 1910/11 (1913) 150 Anm. 1. — E. Ritterling — E. Stein, Die kaiserlichen Beamten und Truppenkörper im römischen Deutschland unter dem Principat (Wien 1932) 134ff. — H. Nesselhauf, Umriß einer Geschichte des obergermanischen Heeres, in: Jahrb. RGZM 7, 1960, 167 f. - E. Birley, Alae und Cohortes milliariae, in: Römische Forschungen in Niederösterreich Bd. V (Graz—Köln 1966) 55.57.66. — D. Baatz, Germania 46, 1968, 40 Anm. 3; — Ders., Saalburg Jahrb. 25, 1968, 200 und 27, 1970, 75 Anm. 6. - H.-J. Kellner, Zwei neue rätische Militärdiplome, in: Bayer. Vorgeschichtsblätter 33, 1968, 92ff., besonders Beilage 1. — H.-G. Pflaum, RE Bd. 22 s. v. ‚praefectus‘ (1953) 1279ff. und RE Db 23 s. v. ‚procurator‘ (1957) 1272.- Hygin, de munitionibus castrorum C. 16.- A. v. Domaszewski und B. Dobson, Die Rangordnung des römischen Heeres2 (Köln—Graz 1967) passim.- B. Cichy, Das römische Heidenheim (Heidenheim 1971).— Ph. Filtzinger, D. Planck, B. Cämmerer, Die Römer in Baden-Württemberg2 (Stuttgart 1976) 79ff., 292ff. — Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg (Stuttgart 1981) 113 ff. — J. Heiligmann, Forschungen und Berichte zur Vor- und Frühgeschichte in Baden-Württemberg Bd. 35 (Stuttgart 1990) 120





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